Medizin in der Hygiene-Klemme

Medizinmanagement , ,

Ist Hygiene noch zu leisten?

KrankenhaushygieneAm 19.12.2014 beschloss der Vorstand der Deutschen Gesellschaft für Krankenhaushygiene (DGKH) den nachfolgend im Infoteil wiedergegebenen Katalog mit neun Forderungen, deren Erfüllung und konsequente Umsetzung zu einer umfassenden Verbesserung des Fachs Hygiene im Bereich der Aus- und Weiterbildung sowie der Qualität hygienischer Maßnahmen in Klinik und Praxis führen könnten. In der Fachzeitschrift „Hygiene und Medizin“ (Ausgabe 2015/1-2) sind im Artikel „Aktuelle Forderungen der DGKH zur Krankenhaushygiene“ diese Forderungen auch im Einzelnen erläutert und ausführlich begründet.

Keine Maximalforderungen sondern Mindeststandards

Die Forderungen der DGKH sind im Einzelnen wohl überlegt, wie dem oben erwähnten Artikel in der Zeitschrift „Hygiene und Medizin“ unschwer und plausibel zu entnehmen ist. Was hier vor dem Hintergrund einer Besorgnis erregenden Entwicklung formuliert wurde, sind ganz sicher keine Maximalforderungen einer Vollkaskogesellschaft, sondern schlicht die Mindeststandards zur Erhaltung und Qualitätssicherung in einem der modernsten Gesundheitssysteme der Welt oder allgemeiner ausgedrückt, einer sehr hoch entwickelten Medizin. Es würde sicherlich den Umfang eines Blog-Beitrages sprengen, wollte man die Begründung zu jedem einzelnen Forderungspunkt und die jeweilige ausführliche Erläuterung durch die DGKH kommentieren.

Gemeinsame Voraussetzungen

Deshalb möchte ich hier weniger auf die Begründung der einzelnen Forderungspunkte eingehen, sondern vielmehr auf die allen Forderungen gemeinsamen Voraussetzungen, die für ihre Umsetzung in der Praxis erfüllt sein müssen. Wenn wir von Hygiene im Allgemeinen oder von Hygienemaßnahmen im Besonderen sprechen, so sind damit in der Regel die spürbaren Auswirkungen infektionshygienischer Verfahren in medizinischen Einrichtungen gemeint. Statistische Auswertungen der Ergebnisse dieser Maßnahmen geben uns Auskunft darüber, ob es sich dabei um Erfolge oder Misserfolge handelt. Eine gute Ergebnisqualität in Form guter Behandlungsergebnisse ist oberstes Gebot in jedem Krankenhaus. Funktionierende Hygienestandards schaffen dafür die Voraussetzungen.

Ergebnisqualität

Es verwundert also nicht, wenn beim Anstieg der Zahl nosokomialer Infektionen und längerer Verweildauern wegen gehäufter postoperativer Komplikationen ein Aufschrei mit der Forderung nach Verbesserung der Hygiene durch das Krankenhaus schallt. Nicht nur die Gesundheit von Patienten und Personal steht auf dem Spiel, sondern auch die Erlössicherheit des Hauses. Längere Verweildauern und aufwendige Hygienemaßnahmen führen schnell zu Liquiditätsverlusten von beträchtlichem Umfang. Die Folgen eines Vertrauensverlustes der Patienten müssen nicht extra erwähnt werden.

Prozessqualität

Was liegt bei Anzeichen für Qualitätsmängel näher, als zunächst die umfangreichen Unterlagen zu überprüfen, mit denen uns ein verpflichtend durch die Selbstverwaltung eingeführtes Qualitätsmanagement gesegnet hat. Der initiale Anflug von blindem Aktionismus ist zwar nachvollziehbar, aber von geringem Erfolg gekrönt; denn Papier ist geduldig, die Keime sind es jedoch nicht und vermehren sich rasant. Dienstanweisungen, Arbeitsanweisungen, Prozessbeschreibungen und Standards sind uns durch das QM überreichlich beschert worden, jedoch haben die Inhalte mit der gelebten Realität leider recht selten und in eher geringem Umfang zu tun. Dennoch beschäftigen sich nicht nur in Großkliniken zumeist enorm personalstarke Abteilungen mit der Erschaffung gigantischer Ordnersysteme, die zu allen Lebenslagen und Arbeitsplatzsituationen penible Beschreibungen der jeweiligen Abläufe enthalten. Mit der Umsetzung dieser Prozesse im Klinikalltag, im laufenden Tagesgeschäft aller MitabeiterInnen, sieht es dann erfahrungsgemäß allerdings mehr als bescheiden aus. Viel zu oft erschöpft sich die angebliche Verbesserung der Hygienemaßnahmen in kosmetischen Aktionen wie einem Präparatewechsel gleichwertiger Desinfektionsmittel oder der wiederholten Umstellung zwischen Wisch- auf Sprühdesinfektion. Auch die Problematik tunnelblickartig auf die outgesourcten Reinigungsarbeiten zu fokussieren und durch die Forderung nach besserer oder häufigerer Reinigung auf dem Rücken der überforderten Reinigungskräfte auszutragen ist ein sehr beliebtes Verfahren und vermeintlich sehr viel billiger, als das Übel bei der Wurzel zu packen.

Strukturqualität

Denn nicht nur die Erfassung und Dokumentation qualitätsrelevanter Parameter zum Nachweis und zur Überprüfung von Qualität sind an das Vorhandensein bestimmter personeller Mindestvoraussetzungen geknüpft, sondern auch die Durchführung der Prozeduren selbst. Mit anderen Worten: Nur wenn ausreichende finanzielle Mittel vorhanden sind, um genügend Personal zur Verfügung zu stellen, können die Mitarbeiter eines Krankenhauses neben dem Kerngeschäft, der Behandlung von Patienten, auch zusätzliche, zeitintensive Aufgaben wie Dokumentation zur Qualitätssicherung und Hygienemaßnahmen bewältigen, ohne dass die Ergebnisqualität beeinträchtigt wird. Gleichgültig, ob kleines Krankenhaus oder Maximalversorger: Die von der DGKH geforderten Maßnahmen erfordern zusätzliches Personal und haben damit, ungeachtet ihrer vollen Berechtigung, auch mehr Kosten zur Folge. Aber nicht nur Kliniken und Praxen sind von den Konsequenzen aus der Umsetzung der Forderungen unmittelbar betroffen.

Kontrolle

Bekanntlich ist jede Regel nur so gut, wie die Überwachung ihrer Einhaltung. Der Anspruch der DGKH nach stärkerer Einbeziehung der Gesundheitsämter in die Prüfung der Qualität von Hygienemaßnahmen ist daher nicht nur folgerichtig, sondern auch naheliegend. Schaut man sich allerdings die aktuelle Frequenz der Kontrollen an, mit denen Gesundheitsämter die Prüfungen der Umsetzung bzw. Einhaltung von Hygienestandards nicht nur in Kliniken, sondern ganz allgemein in hygienerelevanten Betrieben und Bereichen durchführen, so erscheint es in höchstem Maß unrealistisch, dass sich im Krankenhausbereich jemals eine sanktionierte Hygiene-Prüfroutine etabliert, von der ein ernsthafter Anreiz zur gewissenhaften Umsetzung der Hygienevorgaben ausgeht. Die Hygieniker der Gesundheitsämter mögen mit adäquaten Kompetenzen ausgestattet sein, sind derzeit aber eher Einzelkämpfer und kaum in der Lage, ein den Anforderungen gemäßes, engmaschiges Kontrollnetz zu spinnen.

Schulung und Ausbildung

Nach dem durch die 87. Gesundheitsministerkonferenz 2013 einstimmig gefassten Beschluss zur Sicherstellung der Hygienequalität und Infektionsprävention in medizinischen Einrichtungen, wie er im Anhang 2 wörtlich wiedergegeben ist, sollte man davon ausgehen können, dass die Hygiene auch von politischen Entscheidungsträgern als tragende Säule einer modernen Medizin identifiziert worden ist. Die Schaffung von Ausbildungsplätzen und die Qualifikation einer ausreichenden Menge von Fachpersonal sollten daher selbstverständlich sein und nicht an einer Verknappung von Mitteln scheitern oder überhaupt in Frage gestellt werden. Der aktuelle Rückgang der Anzahl von Hygiene-Lehrstühlen, wie auch die Tatsache, dass die Qualifikation zum Hygienebeauftragten Arzt aus eigener Tasche zu finanzieren ist, belegen jedoch eindrucksvoll die zu geringe Wertschätzung des Fachs Hygiene und einen anhaltenden negativen Trend. In allzu vielen Fällen sind die Ausgaben für die Hygiene zugunsten anderer, vermeintlich wichtigerer Investitionen, dem Rotstift eines oft fachfremden und betriebsblinden Managements zum Opfer gefallen.

Aufklärung und Information

An dieser fatalen Geringschätzung der Hygiene, deren langfristige Folgen und Kosten für das Gesundheitssystem kaum abzuschätzen sind, lässt sich nur durch konsequente Aufklärung und Information etwas ändern. Da sich die politischen Entscheidungsträger in der Vergangenheit den bereits existierenden wissenschaftlichen Gutachten gegenüber als äußerst resistent erwiesen haben, darf sich die Initiative zur Reanimation der Hygiene nicht auf die Forderungen von Fachgruppen und Berufsverbänden beschränken, sondern muss bereits beim Patienten ansetzen. Nur wenn es gelingt, die Bevölkerung gegenüber dem Thema Hygiene zu sensibilisieren und die Forderung nach mehr Investitionen auf einer breiten Basis zu verankern, kann es gelingen, mit einer ausreichenden Zahl von MitarbeiterInnen die Qualität der Hygiene zu sichern und zu verbessern. Alle Patientenkontakte der Leistungsträger im Gesundheitswesen sollten daher genutzt werden, PatientInnen die fundamentale Bedeutung von Hygiene zu vermitteln und auf notwendige Verbesserungen hinzuweisen. Nur aufgeklärte PatientInnen sind in der Lage, in ihrem persönlichen Umfeld Hygiene sinnvoll und richtig einsetzen und können durch ihr Wahlverhalten bewusst mitentscheiden, in welche Richtung sich unsere Gesundheitspolitik entwickeln soll.

Schlechte Aussichten

Auf allen Ebenen, an denen die Forderungen der DGKH zur Erweiterung, Verbesserung und Erhaltung von Hygienemaßnahmen ansetzen, entsteht gewiss ein deutlicher Mehraufwand von Zeit, Personal und damit auch Kosten. Es darf trotz der sicheren Aussicht auf immense positive Wirkungen der eingeforderten Investitionen und der damit verbundenen volkswirtschaftlichen Bedeutung bezweifelt werden, dass in der Gesundheitspolitik unseres Landes ein Umdenken zugunsten der Hygiene stattfindet. Nach wie vor sind die politischen Entscheidungen im Gesundheitssektor davon geprägt, dass dem schnell eingesparten Euro mehr Bedeutung beigemessen wird, als dem nachhaltig investierten, mit dem mittelfristig ein Vielfaches der Investitionssumme eingespart werden könnte. Auch die eindeutigen Ergebnisse zahlreicher wissenschaftlicher Studien zum möglichen Einsparpotential durch verbesserte Hygiene, die neben etwas gesundem Menschenverstand und den Grundrechenarten keine weiteren Voraussetzungen für das Verständnis erfordern, vermochten an dieser politischen Ausrichtung bisher nichts zu ändern. Es ist daher zu befürchten, dass auch die Forderungen der DGKH bei den Entscheidungsträgern ungehört verhallen und unerfüllt bleiben, zum Nachteil der gesamten Gesellschaft.

Infoteil:

Forderungen der DGKH

  1. Qualifizierte infektionshygienische Überwachung von medizinischen Einrichtungen (Krankenhäusern, ambulant operierenden Einrichtungen, Arztpraxen, ambulanten / stationären Pflegeeinrichtungen, Rehabilitationseinrichtungen) durch die Gesundheitsämter
  2. Verbesserung und Überwachung der Reinigung in medizinischen und pflegerischen Einrichtungen mit Einsatz von periodisch geschultem Fachpersonal (verbindliche Mindestanforderungen zum risikoadaptierten Personalschlüssel und zur Qualifikation)
  3. Umsetzung der S3-Leitlinie zum „Antibiotic Stewardship“ in allen Krankenhäusern, ambulant operierenden Einrichtungen und Arztpraxen
  4. Ausreichende Investitionen zur Qualifikation und Sicherung eines ausreichenden Personalbestands in den Pflegeberufen mit verbindlicher Festlegung eines risikoadaptierten Personalschlüssels in allen medizinischen und pflegerischen Bereichen
  5. Bereitstellung ausreichender Mittel für Krankenhausbau, -ausstattung und -sanierung unter mitverantwortlicher Beteiligung der Länder zur nachhaltigen Sicherung einer hochqualitativen modernen medizinischen Versorgung als primärem Auftrag unter kommunaler Trägerschaft
  6. Erhaltung vorhandener und Wiedereinrichtung abgewickelter sowie Schaffung neuer Lehrstühle für Hygiene an allen medizinischen Fakultäten unserer Universitäten
  7. Verbesserung der Lehre der Hygiene in der medizinischen Ausbildung und in allen Berufen in der direkten und indirekten Patientenversorgung
  8. Ausweitung einer kontrollierten Meldepflicht für nosokomiale Infektionsausbrüche auf Häufungen von Besiedlungen relevanter MRE wie MRSA und Carbapenem-resistenten gramnegativen Erregern mit Bußgeldbewehrung bei Nichteinhaltung
  9. Information und Schulung der Patienten in ihrer persönlichen Hygiene u. a. zur Prävention nosokomialer Transmissionen von MRE

 

Wortlaut des einstimmigen Beschlusses der 87. Gesundheitsministerkonferenz 2013 (TOP 9.2)

„Die Sicherstellung der Hygienequalität und Infektionsprävention in medizinischen Einrichtungen erfordert eine fundierte Ausbildung von Ärztinnen und Ärzten auf den Gebieten der Hygiene und der Mikrobiologie. Darüber hinaus ist zur Verhütung und Bekämpfung von nosokomialen Infektionen eine Ausstattung mit ärztlichem Fachpersonal auf diesen Gebieten erforderlich. Die Ministerinnen und Minister, Senatorinnen und Senatoren für Gesundheit der Länder bitten die gemeinsame Wissenschaftsministerkonferenz (GBK) für eine langfristige Sicherstellung der Lehre auf dem Gebiet der Hygiene und Umweltmedizin sowie auf dem Gebiet der medizinischen Mikrobiologie, Virologie und Infektionsepidemiologie Sorge zu tragen, indem der Bestand der Lehrstühle gesichert und ausgebaut wird und dadurch die universitäre Weiterbildung von Fachärztinnen und Fachärzten auf den genannten Gebieten gewährleistet wird.“

Add a Comment