Dieses Kind ist nur eines von Tausenden, die derzeit als Asylsuchende nach Deutschland kommen – die Mehrzahl aus Kriegsregionen, wie Eritrea, Irak, Afghanistan oder Syrien. Diskriminierung, Verfolgung, ein Leben in Angst sind in diesen Ländern für Teile der Bevölkerung an der Tagesordnung.
Wie in diesem Blog bereits berichtet, ist die medizinische Versorgung Asylsuchender in Deutschland gesichert…
…zumindest bei “akuten Erkrankungen und Schmerzzuständen”. Zur Gesundheit gehört aber neben dem Körper auch der Geist. Und diesem wurde oft großer Schaden zugefügt – Schaden, der von außen nicht zu sehen ist. Ein Großteil der Asylsuchenden leidet unter psychischen Störungen. Unter den psychischen Folgen von Flucht und Verfolgung nimmt die Posttraumatische Belastungsstörung bei Flüchtlingen und besonders bei den UMFs (unbegleitete minderjährige Flüchtlinge) eine vorrangige Stellung ein: 20 – 84 Prozent von Ihnen sollen an der psychischen Störung leiden.
Die nötige Therapie kann jedoch erst offiziell genehmigt werden, sobald dem Asylantrag stattgegeben wurde:
§6 Sonstige Leistungen
(2) Personen, die die eine Aufenthaltserlaubnis gemäß § 24 Abs. 1 des Aufenthaltsgesetzes besitzen und besondere Bedürfnisse haben, wie beispielsweise unbegleitete Minderjährige oder Personen, die Folter, (…) erlitten haben, wird die erforderliche medizinische oder sonstige Hilfe gewährt…
So lautet das Gesetz. Wie wird es aber der Situation gerecht, der die Antragssteller ausgesetzt sind?
Verfolgung – Flucht – Exilsuche – ein sequentielles Trauma
Während des gesamten Bewerbungsprozesses sind die Asylsuchenden kleinen und großen Belastungen ausgesetzt, die die Traumatisierung verschlimmern können. Nach den Erfahrungen der Verfolgung und der Flucht treffen sie in Deutschland, ihrem Exilland ein. Ihre Hoffnungen auf eine bessere Zukunft werden dort mit meist drei anderen auf kleinstem Raum verstaut. Kulturelle Missverständnisse, sprachliche Probleme, die täglichen Probleme im Leben eines Asylantragssteller fordern ihren Tribut und werden in der Forschung als “daily hazzles” zusammengefasst. Man spricht von einem sequentiellen Trauma.
“Warum glauben Sie mir nicht?”
Bei der Antragsstellung kommt es dann zum GAU für einen Traumatisierten: der erzwungenen, direkten Konfrontation mit dem Auslöser. Oft werden in der Anhörung wichtige und grausame Details ausgelassen, da sie mit Scham und Angst behaftet sind. Gerade diese könten jedoch einen Grund für die Anerkennung liefern. Später werden diese “Lügen” den Bewerbern oft zum Verhängnis, zum Abschiebungsgeund. Eine Mitarbeiterin des psychosozialen Zentrums für Flüchtlinge in Nürnberg sprach in einem Vortrag davon, dass die Beamten unbedingt für das Thema der PTBS sensibilisiert werden müssen. Nur so können Retraumatisierungen und Verschlechterungen des Zustands von Betroffenen aufgrund der Anhörung minimiert oder vermieden werden.
“Ich fühle mich so leer.”
Bis zum Entscheid über den Antrag können bis zu sechs Monate des Wartens vergehen. Nur ein kleiner Anteil der Bedürftigen kann in dieser Zeit bereits psychologisch betreut werden, da die Kapazitäten der staatlichen und gemeinnützigen Organisationen begrenzt sind, die Gesetzlage unklar ist und Hilfe aufgrund der Stigmatisierung psychischer Krankheiten oft nicht gesucht wird. Gefühle der Hilflosigkeit vermischen sich mit den typischen Symptomen der PTBS: emotionale Taubheit, Aggressivität.
“Hoffentlich kann ich hier bleiben”
Mündet der Antrag in einer Abschiebung, bleibt dem Betroffenen die erneute Flucht oder eine Rückkehr in die Heimat. Dies bedeutet oft neue akute Schübe, eine Verschlimmerung der Symptome. Ist das Ergebnis positiv, der Flüchtling wird also für einen gewissen Zeitraum als Asylsuchender anerkannt, beginnt der Prozess der Integration. Jetzt könnte auch eine Psychotherapie begonnen werden. Hierzu muss jedoch wiederum ein Antrag beim Sozialamt eingereicht werden, da nur dort die Krankenscheine, die einen Arztbesuch erlauben, ausgestellt werden. Wieder sind sie der deutschen Bürokratie ausgesetzt und müssten sich direkt mit ihrem Trauma konfrontieren, sollten sie den Mut fassen, Hilfe aufzusuchen.
Unsere Erwartungen
Gerade die unsichtbaren Verletzungen der Seele können das Leben und den weiteren Verlauf der Integration beeinflussen. Mögliche Folgen psychischer Traumata sind Aggressivität, Suizide, Depressionen und Substanzabhängigkeiten – ein Widerspruch zu dem Wunsch vom jungen, arbeitsamen Flüchtling, der schnell Deutsch lernt und sich erfolgreich in Gesellschaft und Arbeitsmarkt integriert.
Hintergrund:
Die Überschriften in Anführungszeichen sind Zitate von einem Mädchen, das von der Elfenbeinküste als unbegleiteter minderjähriger Flüchtling nach Deutschland gekommen ist. http://www.bamf.de/SharedDocs/Anlagen/DE/Downloads/Infothek/Themendossiers/unbegleitete-minderjaehrige-2014/panel1-katrin-schock.pdf?__blob=publicationFile